Mein Prüfungsflug – Gedanken und Ausführung
Es ist Sonntagmorgen 10:00 Uhr. Der erste Teil meiner praktischen Prüfung zur Segelfluglizenz ist bereits vorbei. Während rund 45 Minuten habe ich meinem Prüfungsexperten gezeigt, was ich unter Flugplanung verstehe und wie ich die Notverfahren in der Theorie beherrsche. Heinz, mein Experte, war sehr zufrieden und lobt meine Vorbereitung.
Nun sitze ich im Doppelsitzer am Start der Graspiste 28, bereit für den praktischen Teil in der Luft. Mein Blick hoch ins Appenzeller Vorderland lässt meinen Plus in die Höhe schnellen. Oje, da hat es ja noch riesige Wolkentürme mit tiefer Basis ! Wie soll ich da einen Prüfungsflug absolvieren ? Heinz beruhigt, schau da, zwischen Heiden und Wolfhalden sollte es gehen.
Okey, das schaffe ich. Ich gebe dem Flügelmann das Zeichen zum Start. Die Schleppmaschine zieht an, strafft das Seil und beschleunigt. Jetzt gilt es ernst ! Volle Konzentration und dem Experten immer mitteilen, was ich gerade weshalb mache.
Bereits im Schlepp gilt es die erste Aufgabe zu meistern. Die Schleppmaschine fliegt während des Steigflugs eine relativ enge Acht. Obwohl ich dieses Manöver noch nie geflogen bin, kann ich meine Fluglage hinter der Schleppmaschine sauber halten. Bereits sind wir über Heiden und schleppen durch eine grössere Wolkenlücke hindurch. Ich blicke auf den Höhenmesser und stelle fest, dass die Wolkenbasis bis hinunter auf ca. 1100m reicht. Da bleibt nicht viel Raum nach unten !
Die Schlepppilotin kurvt oberhalb St.Anton nach rechts. Halt Andrea, was machst du da ? Nun habe ich rechts die Wolken schon sehr nahe ! Auch gerade aus und etwas weiter zu meiner Linken sehe ich nur Wolkentürme. Zum Glück, nach rund einer weiteren Minute Schleppzeit setzt die Schlepppilotin zur 180°-Linkskurve an und zieht mich perfekt zurück in die wolkenfreie Zone. Auf 1800 Meter über Meer ist es Zeit zum Klinken. Wie gelernt, löse ich mich vom Schleppflugzeug, bedanke mich über Funk bei der Schlepppilotin und nehme die Gleitfluglage ein. Als Heading nehme ich Lindau, das unterhalb und zwischen einigen Cumulusfetzen einen guten Richtungspunkt abgibt.
Heinz sitzt hinter mir und beauftragt mich, eine 90°-Kurve zu fliegen. Alles klar, Blick nach links über die Schultern, Punkt fixieren, Flügel links frei und mit Quer- und Seitenruder sauber koordiniert den neuen Fixpunkt anfliegen. Passt!
Nach einer weiteren 180°-Umkehrkurve nach rechts soll ich den Sackflug demonstrieren. Okey, ich fühle mich da zwischen den Wolkentürmen etwas eingeengt, aber die Wolkenabstände sind immer noch genügend.
Ich ziehe die Nase leicht hoch und verlangsame die Geschwindigkeit. Das Luftgeräusch wird leiser, die Geschwindigkeitsanzeige sinkt, die Steuerkräfte am Stick werden weicher und erste Vibrationen werden spürbar. Es wird Zeit, nachzudrücken und wieder Fahrt aufzunehmen. Mir scheint, auch diese Übung hat perfekt gepasst.
Da die Wolkenabstände geradeaus dahin schmelzen, entscheide ich mich ohne Auftrag des Experten eine Umkehrkurve zu fliegen und mir wieder mehr Freiraum zu verschaffen.
Als Nächstes wünscht der Experte die Ausführung einer sauber ausgerichteten Acht, mit 45° Querlage und Start nach links. Ich prüfe den Luftraum, definiere die Geschwindigkeit und setze zur Übung an. Im engen Kreis rast das Wolkenbild geradeaus rasant vorbei und versperrt mir die Sicht zum Horizont. Nach dem ersten Vollkreis stelle ich fest, dass die Nase etwas zu tief und dafür die Geschwindigkeit nun eher zu hoch ist. Sofort korrigiere ich ganz sanft und hoffe, dass der Experte es durchgehen lässt.
Nach dem Ausleiten des zweiten Vollkreises nach rechts nehme ich wieder die Gleitfluglage ein und warte auf den nächsten Auftrag, der umgehend folgt. «Bitte nochmals eine Acht, dieses Mal mit Start nach rechts». Aha, er hat meinen Fehler auch bemerkt und gibt mir nochmals die Gelegenheit, meine fliegerischen Fähigkeiten zu beweisen. Der zweite Versuch gelingt. Die Geschwindigkeit und die Koordination der Ruder hat dieses Mal gestimmt.
Als letzte Übung vor der Landung soll ich noch einen Seilriss-Startabbruch an der Winde simulieren. Ich kenne dieses Manöver aus der Ausbildung und setze zur Ausführung an. Zuerst die Nase runter, sehr viel Fahrt aufnehmen und anschliessend mit 45° Pitch in den Steigflug übergehen. Die Geschwindigkeit fällt rasant ab und die Ruder werden wieder weich. Ich achte darauf, rechtzeitig zu stossen und den Segler weich abzufangen.
Meine Höhe über Grund ist schon stark geschrumpft. Es wird Zeit, das Approach-Briefing durchzuführen, die Einflugbewilligung beim Tower Altenrhein zu erlangen und mich mental auf die Landung vorzubereiten. Nach einigen Abbaukreisen melde ich den Einflug in den Righthand-Downwind 28 Gras, achte penibel auf die Anfluggeschwindigkeit und drehe ein. Im Final merke ich, dass ich schon relativ tief bin. Jetzt gilt es, die Geschwindigkeit zu halten und nicht zu kurz zu landen. Das Timing passt. Die Landung erfolgt einwandfrei innerhalb des vorgegeben Landebereichs.
Kaum steht der Segler ruhig auf der Bahn, höre ich die ersehnte Bemerkung des Experten: «Gratulation, du hast bestanden!».
24.8.22, Yves Bodenmann